Plötzlich spürte ich einen starken Sog an meinen Beinen.
Im nächsten Moment hatte die Strömung mir den Boden unter den Füßen weggerissen und zog mich mit sich aus offene Meer.
Für ein paar lange Sekunden erlebte ich den totalen Kontrollverlust, spürte die Panik in mir aufsteigen – und dann konnte ich mich aus eigener Kraft aus dem Griff der Strömung befreien.
Es war nicht so, als hätte ich nicht gewusst, dass das passieren kann.
Wer in der Nordsee schwimmen geht, muss mit starken Strömungen rechnen.
Doch es macht einen riesigen Unterschied, etwas nur vom Hörensagen zu kennen oder es am eigenen Leib zu erfahren.
Ich war 14 als ich das erlebt habe und ich habe mir geschworen, nie wieder in so eine Situation zu geraten.
Ist aber natürlich trotzdem passiert.
Nicht beim Schwimmen im Meer, aber beim Sprung in die sozialen Medien.
Wo das eine sehr schnell zu einer echt lebensbedrohlichen Situation werden kann (körperlich), kann das andere sich ziemlich genau so anfühlen (psychisch).
Der Ozean der sozialen Medien kann etwas Wunderbares sein und dir schöne Stunden im Wasser bescheren.
Wir können uns austauschen, Kontakte knüpfen (ich habe sogar eine meiner besten Freundinnen über Instagram kennengelernt) und Content finden und teilen, der uns weiterbringt.
Er ist aber auch ein Ozean der Vergleiche, Bewertungen und Likes.
Und obwohl das Wasser einladend aussieht, kann eine unsichtbare Strömung dich ohne Vorwarnung mit sich reißen und dein Selbstwertgefühl bedrohen.
In Sekundenschnelle können die Gefühle umschwingen: Gerade noch hast du dich über den Austausch mit anderen gefreut, bis ein negativer Kommentar das alles zunichte macht.
Eine Welle der Unsicherheit reißt dich mit sich und du fühlst dich verloren, von allen anderen abgeschnitten.
Verzweifelt versuchst du, nicht unterzugehen.
Kämpfst mit aller Kraft gegen die Strömung an.
Und die Frage ist: Kannst du es aus eigener Kraft schaffen, dich zu befreien oder nicht?
Im echten Meer helfen in erster Linie gute Schwimmfähigkeiten und das Wissen um Strömungen.
Im Ozean der sozialen Medien brauchen wir etwas anderes: ein starkes Selbstwertgefühl.
Denn nur, wenn wir fest von unserem eigenen Wert überzeugt sind und wissen, was uns ausmacht, können wir negative Kommentare sachlich betrachten und sie nicht emotional an uns heranlassen.
Soziale Medien sind ein Phänomen, das aus dem Alltag der meisten (jungen) Menschen gar nicht mehr wegzudenken ist. Viele von ihnen veröffentlichen auch regelmäßig eigene Beiträge – so wie ich.
Wir teilen dort Bilder, Videos oder Texte und präsentieren damit uns selbst, unsere Erlebnisse, Gedanken, Gefühle oder auch unsere Herzensprojekte auf der jeweiligen Plattform. Und genau das kann so gefährlich für unser Selbstbewusstsein werden. Zumindest dann, wenn wir uns von der Meinung anderer Menschen (noch) nicht abgrenzen können.
Soziale Medien wie z. B. Instagram können zur Gefahr werden, wenn ich erst durch eine bestimmte Anzahl an Likes glauben kann, dass ich schön, liebenswert oder gut genug bin. Wenn ein negativer Kommentar zu meinem Foto ausreicht, um mich an mir selbst zweifeln zu lassen. Wenn meine eigenen Gedanken schon überkritisch sind und mich die Kommentare von anderen nur noch mehr darin bestätigen. Wenn ich meinen eigenen Wert von der Meinung anderer Menschen abhängig mache.
Solange wir unseren eigenen Wert nicht kennen, hat jeder noch so anonyme Nutzer die Macht, uns zu verletzen.
Von emotionalen Verletzungen und Pflastern
Stell dir vor, du wirst verletzt und ziehst dir eine tiefe Wunde zu. Was tust du? Du gehst wahrscheinlich zum Arzt, wo sie behandelt (gesäubert und dann genäht, geklebt oder geklammert) wird.
Aber was ist, wenn es eine emotionale Wunde ist? Meistens schauen wir uns die lieber nicht so genau an. Stattdessen lenken wir uns ab, damit wir uns besser fühlen. Das ist, als ob wir einfach provisorisch ein paar Pflaster über eine Fleischwunde kleben würden. Man sieht sie zwar erstmal nicht mehr, aber verheilen wird sie auf diese Weise bestimmt nicht.
Ich habe genau das jahrelang getan: Meine Wunden ignoriert und mich dann immer wieder gewundert, dass andere Leute sprichwörtlich ihre Finger dort hineinlegen konnten. Und glaub mir, das tat ganz schön weh.
Was macht man dann, wenn man immer wieder aufs Neue verletzt wird? Man entwickelt Strategien, um sich (und die Wunden) vor Angriffen zu schützen. So hatte ich mich zum Beispiel jahrelang in meine Schüchternheit zurückgezogen und bin anderen Menschen möglichst aus dem Weg gegangen – bevor ich wieder verletzt werden konnte.
Tief verletzt: Mangelndes Selbstwertgefühl
Vor einigen Jahren hatte ich dann genug davon, mich zu verstecken. Also fing ich an, nach Wegen zu suchen, um mein Selbstbewusstsein zu stärken. Ich habe etliche Strategien ausprobiert, mich immer wieder aus meiner Komfortzone gewagt und dabei eine Menge gelernt. Und mit diesen Erfahrungen wollte ich auch andere Introvertierte und Schüchterne auf ihrem Weg zu mehr Selbstbewusstsein unterstützen – über die sozialen Medien.
Was ich da noch nicht geahnt habe: Ich hatte mir zwar oberflächlich mehr Selbstbewusstsein aufgebaut, doch es lag noch eine Wunde tief unter dieser Oberfläche. Und die hatte ich mit meinem neu gewonnenen Selbstbewusstsein nur verdeckt, aber nicht geheilt.
Von welcher Wunde ich spreche? Von der wahrscheinlich größten emotionalen Wunde, die viele Menschen mit sich herumtragen: mangelndes Selbstwertgefühl.
Tief in unserem Inneren sind wir davon überzeugt, nicht gut genug zu sein. Wir haben Angst vor Bewertung, Kritik und Zurückweisung. Wir wollen alles möglichst perfekt machen und bloß keine Fehler begehen. Wir missachten unsere eigenen Grenzen und Bedürfnisse, um es anderen recht zu machen. Und wir glauben, wir müssten erst noch dieses und jenes erreichen, um liebenswert zu sein.
Auf der Suche nach Bestätigung in den sozialen Medien
Je länger ich in dieser Zeit auf Instagram & Co unterwegs war, umso deutlicher wurde mir bewusst, wie angeknackst mein Selbstwertgefühl war.
Bekam ich eine Menge Likes, positive Kommentare und neue Follower, fühlte ich mich gut, denn ich hatte ich etwas erreicht. Blieben die Likes aus, gab es kritische Kommentare oder sprangen Follower wieder ab, bezog ich das direkt auf mich – ich fühlte mich wie eine Versagerin.
Gleichzeitig machte mir mein Perfektionismus das Leben schwer: Egal, ob es darum ging, einen Beitrag vorzubereiten oder Kommentare und Nachrichten zu beantworten – ich legte beim Formulieren jedes Wort auf die Goldwaage. Warum? Weil ich Angst hatte, dass jemand meine Worte falsch verstehen und mich deswegen angreifen könnte. Das kostete mich einerseits eine Menge Zeit, die ich eigentlich für andere Dinge brauchte. Andererseits wollte ich aber auch meine Erfahrungen weitergeben und damit so viele Menschen wie möglich erreichen. Durch diesen Zwiespalt baute sich in meinem Inneren immer mehr Druck auf.
Den ganzen Tag kreisten meine Gedanken um den nächsten Beitrag, um beeindruckende Bilder und inspirierende Texte. Um Follower, Likes und Kommentare. Um Reichweite und Algorithmen. Und zwar so sehr, dass ich mir selbst keine Zeit mehr ließ, wirklich zu leben. Ich vertröstete Freunde und Familie, vernachlässigte Sport und gesunde Ernährung und verurteilte mich dafür, dass ich ständig den Wunsch hatte, mir eine Auszeit zu nehmen.
Druck: Nach außen hin unsichtbar, doch innerlich intensiv spürbar
Ich wusste, dass ich mir diesen Stress selbst machte, trieb mich aber trotzdem immer weiter an. Ich hoffte einfach, dass es irgendwann besser werden würde. Dass ich mich daran gewöhnen und schneller werden würde. Das ging so lange, bis ich dem Stress nicht mehr standhalten konnte – und mich entschied, eine Pause einzulegen. Ich wusste nicht, für wie lange, ich wusste nur, dass ich sie dringend nötig hatte.
Und ganz ehrlich? Je mehr Abstand ich von der digitalen Welt gewann, desto besser fühlte ich mich. Ich hatte endlich wieder Zeit für mich, konnte mal ein Buch lesen, meditieren, Freunde treffen, Sport machen oder schreiben – ohne ständig unter Druck zu stehen.
Mein Auftritt in den sozialen Netzwerken hatte eine Wunde aufgerissen, die ich bis dahin selbst kaum wahrgenommen hatte – so gut hatte ich sie versteckt.
Als ich dieses Bild vor Augen hatte, wurde mir klar: Es machte keinen Sinn, meine ganze Kraft darauf zu verwenden, die Wunde zu verstecken oder gegen mögliche Angriffe zu verteidigen. Viel effektiver wäre es, sie einfach zu heilen. Dann wäre ich nicht mehr so leicht angreifbar, könnte meine Schutzmechanismen aufgeben und insgesamt viel entspannter durchs Leben gehen.
Die Lösung hieß also: mein Selbstwertgefühl stärken. Und genau dafür habe ich mir dieses Jahr ausgiebig Zeit genommen.
Wann soziale Medien zur Gefahr werden können
Soziale Medien sind Werkzeuge und es bleibt uns überlassen, wie wir diese nutzen. Wir können ein Messer einerseits zum Gemüseschneiden und andererseits als Waffe verwenden – es ist unsere Entscheidung. Und so ist es auch bei den sozialen Netzwerken: Entweder wir nutzen sie auf positive Weise, indem wir uns austauschen, wertvollen Content liefern, andere unterstützen, respektvolle Kommentare schreiben und eine gesunde Balance zwischen online- und offline-Welt halten. Oder wir nutzen sie auf negative Weise und schreiben Hater Kommentare, ziehen andere runter oder machen uns selbst so viel Druck, dass wir daran kaputtgehen.
Soziale Medien können zur Gefahr werden, wenn wir uns (noch) nicht von der Meinung anderer Menschen abgrenzen können. Wenn das, womit wir auf den Plattformen konfrontiert werden (Inhalte, Kommentare, sozialer Druck), Wunden aufreißt und wir keine gesunden Strategien kennen, sie zu heilen. Wenn wir dort nach der Bestätigung suchen, die wir uns selbst nicht geben können.
Für mich war diese Erfahrung der Anstoß dazu, endlich meine Wunde zu heilen. So habe ich es geschafft, mein Selbstwertgefühl zu steigern und meinen Umgang mit den sozialen Medien positiv zu verändern.
Erzähl mal: Was sind deine Erfahrungen mit sozialen Medien? Wie schaffst du es, mit Leistungsdruck, Bewertungen und Kritik umzugehen?
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